„Pullt, ihr Landratten, pullt!“
Unermüdlich rudert unsere Mittwochsrunde gegen einen stetigen Strom von neuen Spielen an, insbesondere, wenn die Schleusen von Essen und Nürnberg frisch geöffnet sind. Netterweise steuert unser Maat Stefan das ganze so vorausschauend, dass wir zumindest meistens dem schlimmsten spielerischem Treibholz im großen Bogen auszuweichen können. Und mit dem Rest kommen wir in aller Regel gut zurecht: die Runde hat eine solide Grundkondition, steht Neuheiten aufgeschlossen gegenüber und ist routiniert genug, auch spielerische Untiefen in schlingernden Erstpartien entspannt wegzustecken. Ein wiederkehrendes Grundproblem ist aber: was tun, wenn ein Spiel interessant wirkt, sich im ersten Versuch aber höchstens ansatzweise erschließt? „Nochmal spielen“, sollte da eigentlich die Antwort lauten! Allzu oft kommt es aber dazu nicht, da in der Folgewoche schon wieder frische Kost angeliefert wird. So bleibt – gerade bei komplexen, anspruchsvollen Spielen – immer mal wieder das Gefühl, etwas verpasst zu haben.
Diese Woche ist es mal wieder so weit: „Hyperborea“ steht auf dem Plan und das ist (siehe unten) definitiv so ein Titel, den man nach einer Runde maximal als „grob verstanden“ klassifzieren kann. Um ihn wirklich zu durchdringen, sind ganz sicher 4,5 oder noch mehr Partien notwendig. Mal schauen, ob es auch dazu kommt …
Teilnehmer: Jochen, Matthias, Philippe, Stefan, Jerry
Gespielt wird bei; Jerry
1. Hyperborea von Andrea Chiarvesio und Pierluca Zizzi, erschienen bei Asmodee
Gewinner: Stefan 37, Philippe 35, Matthias 31, Jerry 30, Jochen 25
Erster Eindruck: Ein interessantes, anspruchsvolles Spiel. Hyperborea kombiniert eine Menge Mechanismen auf neue Art miteinander. Die Grundelemente erinnern stark an Eclipse: das Spielbrett ist modular, aus Hex-Feldern aufgebaut mit reichlich unentdecktem Terrain (sprich verdeckt liegenden Spielplättchen). Von außen arbeiten wir uns mit unseren Militäreinheiten nach innen vor, eliminieren die Urbevölkerung (in Form von Geistern) und erobern uns Felder, die uns Siegpunkte und wertvolle Spielressourcen liefern. Irgenwann stoßen wir auf die lieben Nachbarn, die wir in einfachen, würfelfreien Kämpfen vom Brett fegen. Erobern, Schlagen, Ausbeuten: all das generiert direkt oder indirekt Siegpunkte. Getrieben wird das ganze durch einen Worker-Placement Mechanismus: jeder hat ein eigenes Aktionsbrett, auf dem wir die verschiedenen Aktionen wie Bewegen, Verstärken oder Randalieren durch das Einsetzen von Workern auslösen können. Zusätzlich können wir Technologiekarten kaufen, die mächtige Zusatzaktionen bieten und gleichfalls durch Worker aktiviert werden. Als Worker haben wir bunte Würfelchen, die jeder aus seinem eigenen Stoffbeutel zieht. Bag Building heisst das und man kennt es schon von Orleans: nach und nach kaufen wir neue Aktionswürfel und erhalten so tendenziell mehr Handlungsmöglichkeiten. Und auch den aus Dominion und Orleans bekannten „Zumüllefekt“ gibt es: Zu viele Aktionswürfel machen unser „Deck“ aus Aktionswüfeln fett und träge, was unser Spiel ineffizient werden lässt.
Hyperborea hat Gebietskontrolle, Einheitenbewegung, Technologieausbau, aber fühlt sich im Kern ein ums andere Mal wie ein Rennen an. Es ist essentiell, die auf dem Brett liegenden Ressourcen möglichst als erster im Zugriff zu haben und diese dann möglichst oft ausbeuten zu können. Und dabei muss man genau hinschauen, seine Aktionen optimal planen und stets mindestens einen Zug in die Zukunft schauen. Erratisches, sprunghaftes Spiel ist keine gute Idee.
Eins ist schnell klar: das Spiel ist variabel und belohnt Optimierexperten. Und ebenso ist klar: das ist kein Spiel für Schnarchnasen, die immer erst kurz vor dem eigenen Zug aufwachen. Jeder Spieler macht einen kompletten Zug bevor der nächste dran ist, so dass Vorausplanung Pflicht ist, wenn sich das ganze nicht wie Kaugummi in die Länge ziehen soll. Aber wir sind ja alerte Elitespieler. Nach 30 Minuten Erklären und Aufbauen zocken wir die Kurzversion(!) in schlanken 2 Stunden runter. Hat Spaß gemacht, war aber nicht mehr als eine Trainingsrunde. Die Vollversion bietet neben längerer Spieldauer noch sehr interessante Dinge wie variable Völkerfähigkeiten und variablen Startterrains die das Spiel ganz sicher deutlich asymmetrischer machen werden. Und Asymmetrie ist spaßig! Von daher: Bitte nochmal mitbringen!
2. Loony Quest von Laurent Escoffier und David Franck, erschienen bei Libellud
Gewinner: Stefan 46, Jochen 42, Jerry 41, Philippe 35, Matthias 32
Erster Eindruck: Genau der richtige Absacker nach der zuvor schweren Kost. Ein Zeichenspiel der wirklich spaßigen Art. Die Aufgabe ist schnell verstanden: Gegeben ist ein Bild, das eine videospielähnliche Szene zeigt. In dieser sind Ziele (bringen Siegpunkte) und Hindernissen (kosten Siegpunkte) zu sehen. Die Aufgabe lautet: zeichne einen Parcours, der möglichst viele Ziele und möglichst wenig Hindernisse berührt. Das wäre einfach, wenn wir diesen Parcour direkt auf das Bild malen dürfen. Dürfen wir aber nicht. Stattdessen müssen wir unsere Strecke quasi frei Hand auf einen Blankobogen (genauer eine Blankofolie) malen und das auf Zeit. Wenn wir fertig sind, wird die Folie auf die Bíldvorlage gelegt und geschaut wir gut (oder schlecht) das eine getroffen und dem anderen ausgewichen sind. Das ist ruck-zuck erklärt, spielt sich flockig von der Hand (alle malen und schwitzen gleichzeitig) und bringt durch hohes Schadenfreudepotenzial viel herzerwärmendes Gelächter. Natürlich ist das ein Partyspiel, d.h. es hat kaum Tiefgang, braucht lockere Leute und hat im Zweifel einen begrenzten Wiederspielwert. Aber mehr als ein Partyspiel will es auch nicht sein. Kommt bei mir auf jeden Fall schon mal auf das 2015er Kaufradar.