19.12.2018 – Valparaiso

Spiele mit Städtenamen sind zu boykottieren, fordert ein einflussreiches Blog unserer eidgenössischen Nachbarn. Aber da wir Westfalen uns von ein paar dahergelaufenen Alpenanrainern gerade mal gar nichts sagen lassen, reisen wir frohen Mutes nach Valparaiso in Chile. Das Vorurteil, deutsche Spiele mit Städtenamen seien immer nur dröge Ressourcensammelei, ist schließlich nix weiter als Fake News.

Valparaiso also. Was passiert? Wir Spieler sammeln und handeln Waren im gleichnamigen Küstendorf. Drei verschiedene Warentypen können wir in den Dörfern rund um die namensgebende Stadt ergattern, um sie anschließend gegen Infrastrukturgewinne oder Siegpunkte einzutauschen.

Grundpfeiler des Spiels ist das Prinzip der Aktionskartenprogrammierung, das wir aus Titeln wie Robo Rally oder Mechs vs. Minions kennen. Jeder Spieler hat zu Beginn denselben, festen Satz an Aktionskarten. Runde für Runde programmieren wir gleichzeitig und geheim unsere anfänglich 4 Aktionen. Sobald dies erledigt ist, decken alle gleichzeitig ihre Karten auf und führen dann reihum, Karte für Karte ihre Aktionen durch.

Von links nach rechts: Händler bewegen, Handeln, Haus bauen, 10 Cash kassieren

Mit den Karten bewegen wir Händlerfiguren übers Land und ergattern mit diesen entweder Ressourcen oder geben ebenjene Waren gegen Siegpunkte ab. Der Clou: Die Tauschoptionen auf den Dörfern sind variabel und ändern sich fortlaufend. Sobald ein Spieler eine Handelsaktion durchgeführt hat, wird diese durch eine neue, andere ersetzte. Wir bauen Handelshäuser, die unsere Einkommen erhöhen und unsere Effizienz beim Handeln verbessern. Und wir beladen Schiffe, segeln damit nach Übersee und können dort Ressourcen gegen neue und bessere Aktionskarten abgeben. Letzteres ist ein Element, das uns schon in Concordia viel Freude bereitet hat.

Mittig: Die Stadt. Außenrum die Dörfer. Oben: Export nach Übersee

Das Programmieren der Karten stellt den höchst anspruchsvollen Kern dieses Expertenspiel dar, denn spätestens ab der Mitte des Spiels, müssen wir bis zu 6 Aktionen festlegen. Manchmal ist die Abfolge simpel: Zeugs sammeln, Zeugs verladen, Schiff bewegen, Zeugs abgeben, freuen. Aber ein ums andere Mal ist es weit weniger einfach, denn unglücklicherweise sind da ja noch die lieben Mitspieler: Die schnappen vor allem Handelsoptionen weg, machen unsere Züge teurer oder stehen uns generell im Weg. Um das Chaos weniger stark ausfallen zu lassen als bei Robo Rally und Co, greift Valparaiso zu einem eleganten Kniff: Gegen Zahlung von Geld können wir die Reihenfolge unserer Aktionskarten während der Abwicklung verändern. Erkaufte Flexibilität sozusagen, die dafür sorgt, dass keine komplett kaputten Züge geben kann.

Gelb wird gleich 3 Steine liefern und dafür eine der drei Aktionskarten nehmen.

Auch die Spielendebedingung ist eine Anleihe aus einem Klassiker: Wie beim grandiosen Hansa Teutonica spielen wir, bis ein Spieler eine feste Anzahl an Siegpunkten ergattert hat. Passiert das, ist sofort Schluss und nach einer Endabrechnung wird direkt der Sieger bestimmt. Dieser elegante Mechanismus schiebt allzu perfektionistischer Engine-Bauerei den Riegel vor: Wer zu lange an einer supereffizienten Siegpunktmaschine tüftelt, kann sich am Ende auf dem letzten Platz wiederfinden, weil die Schnellspieler die Partie zugemacht haben.

Im Praxistest erweist sich Valparaiso als echter Hirnzwirbler. Klar, die ersten paar Züge eines neuen Expertenspiels sind immer ein Blindflug, aber hier wird es auch in den Runden danach nicht leichter. Die Aktionskartenprogrammierung ist für sich allein schon knifflig, wird aber dadurch noch erheblich erschwert, dass insbesondere die zur Verfügung stehenden Handelsaktionen auf dem Brett ständig rotieren und sich ändern. So kommt das Spiel ein ums andere Mal zu vorübergehendem Stillstand, wenn selbst sonst flinke Spieler in Grübelstarre verfallen.

Nein, entgegen der Prognose der geschätzten MUWINS ist Valparaiso keine stumpfe Ressourcensammelei. Es ist anspruchsvolle Ressourcensammelei. Anstrengende Ressourcensammelei. Aber trotz der vielen klug ausgedachten Mechanismen ist es allem ein Spiel, mit einem gewissen inneren Widerspruch, denn auf der einen Seite wird von uns Spielern hoher Denk- und Planungsaufwand eingefordert, aber auf der anderen Seite gibt es mindestens zwei Stellen, die den eigenen Zug zerbrechlich machen, ganz vorne weg die sich ständig ändernden Handelsoptionen.

Grün wird gleich 4x handeln: 1 Geld + 1 Waren –> 1 Siegpunkt. Danach kommt diese Option weg.

Nach ca. 2h Spielzeit sinken wir erschöpft zurück in unsere Stühle. Knapp war’s. Anspruchsvoll und fordernd. Und nun die Gretchenfrage: Würde ich das kaufen oder nicht? Die Antwort ist nach kurzem Nachdenken: Nein, würde ich nicht. Es ist mir schlicht und ergreifend zu anstrengend. Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn ich hart grübeln muss, dann erwarte ich auch, für die Grübelei angemessen in Siegpunkten belohnt zu werden. Das ist in Valparaiso aber leider nicht immer der Fall. Und zudem kommen auch hier die Punkte mal wieder nur tröpfchenweise; spektakuläre Lawinen a la Russian Railroads sind nicht zu erwarten.

Fazit: Alle Elemente von Valparaiso sind reizvoll, aber letztendlich anderswo für meinen Geschmack besser umgesetzt. Für Aktionsprogrammierung bleibe ich beim flockig-chaotischen Mechs vs. Minions. Das Kauf-Dir-Deine-Aktionskarten von Concordia bleibt unerreicht. Und Hansa Teutonica mit seinem Kurz-vs.-langfristig-Spannungselement ist eh eine Klasse für sich. Valparaiso muss also draußen bleiben.